E-HealthKünstliches Hören
Wer taub oder schwerhörig ist, kann häufig trotzdem hören. Möglich macht das ein Cochlea Implantat (CI). Wie es funktioniert und wie CIs der Zukunft aussehen könnten.
Hören ist mehr, als nur akustische Signale wahrzunehmen. Hören ist die Grundlage für wechselseitige Kommunikation. Es ermöglicht, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Bei einem gesunden Ohr wandeln die Haarzellen, das sind spezielle Rezeptorzellen der Cochlea, der Hörschnecke, die Schallwellen in elektrische Impulse um. Diese Impulse stimulieren den Hörnerv, der das Hörsignal weiter ins Gehirn leitet. Eine häufige Ursache für Taubheit oder Schwerhörigkeit ist, dass diese Haarzellen stark degeneriert sind. Die Folge: Es entsteht kein Hörsignal. Weltweit sind etwa 460 Millionen Menschen von Schwerhörigkeit oder Taubheit betroffen, für sie kann das soziale Ausgrenzung und eine Einschränkung der Lebensqualität bedeuten.
Ein Cochlea Implantat kann die Funktion der Haarzellen ersetzen und einen Höreindruck ermöglichen. Wenn die Schallwellen auf das Ohr treffen, wandelt ein Sprachprozessor, der außen am Ohr angebracht ist, den Schall in digitale Signale um. Über eine Senderspule gelangen die Signale zu einer implantierten Empfangsspule. Die Empfangsspule ist im Knochen hinter dem Ohr verankert und wandelt die digitalen in elektrische Signale um, die dann weiter in die Cochlea geleitet werden. Dort übertragen Elektroden die Signale an den Hörnerv. Dementsprechend ist ein intakter Hörnerv Voraussetzung für ein Cochlea Implantat.
Cochlea-Implantate vermitteln weltweit mehr als 500.000 Menschen einen künstlichen Höreindruck, in der Mehrzahl der Fälle ermöglicht dieser auch ein Sprachverstehen. Limitiert sind die bisher verwendeten Hörprothesen jedoch in der genauen Übertragung feiner Abstufungen der Tonhöhe (Frequenz). Musik wie eine Oper oder das Hören in einer Umgebung mit vielen Hintergrundgeräuschen – ein Kaffee auf dem Marktplatz – ist für Menschen, die ein Cochlea Implantat tragen immer noch schwierig.
Die Ursache der limitierten Frequenzauflösung, also warum die verschiedenen Tonhöhen nicht entsprechend übertragen werden können, ist, dass sich der elektrische Strom in der Cochlea relativ weit ausbreitet. Große Abschnitte des Hörnervs werden gleichzeitig aktiviert und die Darstellung verschiedener Tonhöhen beim künstlichen Hören unpräzise. Bildlich vorstellen kann man sich dies am Beispiel eines Klaviers: „Während das natürliche Hören dem Anschlagen einzelner Tasten folgen kann, ist die Klangwahrnehmung mittels Cochlea-Implantat eher mit dem gleichzeitigen Anschlagen vieler Klaviertasten vergleichbar. Um ein natürlicheres Hörvermögen wiederherzustellen, müssten einzelne Tonhöhen besser unterschieden werden können“, sagt Prof. Dr. Tobias Moser vom Institut für Auditorische Neurowissenschaften & InnenOhrLabor der Universitätsmedizin Göttingen.
Eine Weiterentwicklung von elektrischen Cochlea Implantaten könnten optische CIs sein, die den Hörnerv mithilfe von Licht anregen, denn Licht kann besser gebündelt werden als elektrischer Strom. Göttinger Hörforscher konnten nun im Tiermodell nachweisen, dass sich die Qualität des künstlichen Hörens maßgeblich verbessern kann, wenn die Hörbahn mittels Licht statt mit elektrischem Strom stimuliert wird. Da der Hörnerv nicht lichtempfindlich ist, müssen funktionelle, genetisch kodierte Lichtsensoren in die Nervenzellen des Hörnervs eingebracht werden. Dieser Ansatz wird als „Optogenetik“ bezeichnet. Die optogenetische Anregung der Hörbahn wurde vor einiger Zeit an ertaubten Nagetieren entwickelt.
Im Hörsystem werden unterschiedliche Frequenzen an verschiedenen Orten verarbeitet. Je nachdem wie viele Nervenzellen, die die verschiedenen Frequenzen verarbeiten, gleichzeitig aktiv sind – kann die Frequenzauflösung, also die Fähigkeit gleichzeitig auftretende Töne zu unterscheiden, der verschiedenen Anregungsmodi – akustisch, elektrisch oder optisch – bestimmt werden.
Über die Untersuchung der Nervenaktivität im Mittelhirn gewannen die Wissenschaftler also vergleichbare Daten über das Auflösungsvermögen für Tonhöhen (Frequenz) bei akustischem, optischem und elektrischem Hören.
Es zeigte sich, dass die Frequenzauflösung künstlichen Hörens durch optische im Vergleich zu elektrischer Stimulation wesentlich verbessert werden kann. Der Grund: Die Anregung durch Licht ermöglicht eine wesentlich höhere Auflösung als die Anregung durch Strom. Bei niedrigen Stimuationsintensitäten konnte sogar eine natürliche Hörqualität erreicht werden. Hier war die Frequenzauflösung der optogenetischen Anregung nicht von der akustischen Anregung zu unterscheiden. Diese neuen Erkenntnisse lassen hoffen, dass es mit künftigen optischen Cochlea-Implantaten gelingen könnte, das Hörvermögen von Schwerhörigen besser wiederherzustellen.
„Ein logischer nächster Schritt ist für uns nun, die Stimulation auf mehr Kanäle zu erweitern. In den bisherigen Untersuchungen haben wir die Einkanalstimulation eingesetzt. Nun wollen wir mittels Mikroleuchtdioden-Arrays über mehrere Kanäle stimulieren“, sagt Dr. Marcus Jeschke, Nachwuchsgruppenleiter am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung und am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen. „So möchten wir untersuchen, ob die Aktivierungen nahe beieinander liegender LEDs unterschieden werden können und wie und ob die Aktivierungen der einzelnen LEDs interagieren“, so Dr. Jeschke. „Wenn künftige Tierversuche unsere Ergebnisse bestätigen, und die Biosicherheit unserer Technologie nachgewiesen wird, haben wir Hoffnung, dass optische Cochlea-Implantate künftig auch bei Menschen eingesetzt werden können“.
Quellen:
Pressemitteilung der Universitätsmedizin Göttingen vom 29.04.2019: Wie künstliches Hören durch Licht natürlicher werden könnte
Originalveröffentlichung: Dieter A, Duque-Afonso CJ, Rankovic V, Jeschke M, Moser T (2019): Near physiological spectral selectivity of cochlear optogenetics. Nature Communications
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