E-HealthAngststörungen
VR-Brille aufsetzen, eintauchen und die eigene Angst überwinden. Wie mithilfe von Virtual Reality (VR) Angsterkrankungen wirkungsvoll behandelt werden können. Und wo VR in der Medizin noch helfen kann.
Blicken wir auf ein Objekt, werden im Gehirn zwei Bilder verarbeitet: eines vom linken Auge und eines vom rechten. Das Gehirn lagert die beiden Bilder übereinander – so entsteht ein dreidimensionales Bild. Eine VR-Brille funktioniert genauso. In der Brille sind zwei Linsen eingebaut, die zwei leicht unterschiedliche Bilder erzeugen, wodurch das Gesehene dreidimensional erscheint. Dadurch und weil das Bild nicht wie bei einem Fernseher oder einem Display an den Seiten begrenzt ist, hat man das Gefühl Teil der Welt zu sein, die man durch die Brille erblickt. Dieses Gefühl in eine virtuelle Welt einzutauchen, heißt Immersion. Die Immersion wird neuerdings auch in der Medizin genutzt. Beispielsweise um Angsterkrankungen zu behandeln.
Den Eifelturm besteigen, auf den Fernsehturm in Berlin fahren oder den Gipfel der Zugspitze erklimmen – für Menschen mit Höhenangst in der Realität undenkbar. Im virtuellen Raum schon. Höhenangst (Akrophobie) wird in der Regel mithilfe der psychotherapeutischen Konfrontationstherapie, auch Expositionstherapie, behandelt. Dabei wird der Betroffene seinen Ängsten so lange ausgesetzt, bis der Betroffene sie überwinden kann.
Die Therapie von Höhenangst mit Virtual Reality funktioniert ähnlich – auch hier werden die Patienten im virtuellen Raum mit ihrer Angst konfrontiert. Setzen sie die VR-Brille auf, tauchen sie in eine Szenerie ein, die sie mit ihrer Höhenangst konfrontiert. Dabei können sie sich im virtuellen Raum frei bewegen, Treppen hoch- und hinunterlaufen so oft und lange sie möchten. Die Erfolge im virtuellen Raum stärken das Selbstbewusstsein und lassen die Ängste auch in Realität weniger werden. Neben Höhenangst lassen sich auch andere Angsterkrankungen mithilfe von VR behandeln. Dazu gehören: Spinnen-, Flugphobien oder Soziale Phobien.
Die Therapie im virtuellen Raum wirkt. Studien haben gezeigt, dass die Konfrontation mit der Angst in der virtuellen Welt Ängste ähnlich gut reduzieren kann wie die Konfrontationstherapie in der Realität. Bei Speziellen Phobien, wie einer Spinnen-, Höhen- oder Flugphobie, empfiehlt die S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften die Virtual-Reality-Therapie dann, wenn eine Konfrontationstherapie nicht in Realität durchgeführt werden kann.
Bei zirka zehn Prozent der Patienten kommt es durch die VR-Brille zu einer Kinetose mit Übelkeit. Kinetose ist auch unter dem Namen Reisekrankheit bekannt und äußert sich unter anderem durch Übelkeit, Kopfschmerz und Schwindel.
Angststörungen sind in Deutschland weit verbreitet: von Spinnenphobie (Arachnophobie), über Höhenangst (Akrophobie) bis hin zu Sozialen Ängsten. In der Regel sind diese Ängste gut zu behandeln, allerdings ist eine flächendeckende Therapie derzeit nicht möglich. Denn die Therapiestunden, in denen der Patient seinen Ängsten in der Realität begegnet, bedeuten – im Gegensatz zu einer VR-Therapie – einen hohen organisatorischen und zeitlichen Aufwand. Ein weiteres Plus der VR-Therapie: Die Hemmschwelle, sich den eigenen Ängsten zu stellen, ist im virtuellen Raum niedriger als in Realität.
Ein weiteres Feld in dem VR in der Medizin effektiv eingesetzt werden kann, ist in der Kinderheilkunde. Wenn die Kinder, beispielsweise während der Versorgung von Brandwunden, beim Zahnarzt oder im Rahmen einer onkologischen Therapie, mithilfe einer VR-Brille in eine virtuelle Welt abtauchen und abgelenkt sind, kann das ihre Schmerzen und Ängste lindern. Auch Menschen mit einer Essstörung können von einer VR-Therapie profitieren. Werden sie in der virtuellen Welt mit für sie unangenehmen Situationen konfrontiert, sie müssen etwa ein Fast-Food-Restaurant besuchen, kann das die Symptome der Essstörung auch in der realen Welt reduzieren. VR-Szenarien, die für Entspannung sorgen oder Atem- und Bewegungsübungen zum Nachahmen zeigen, können speziell für demenzkranke oder bettlägerige Menschen die Lebensqualität verbessern. Sie können die Patienten körperlich und geistig fordern und psychische Belastungen ausgleichen.
VR wirkt immer dann besonders, wenn sie möglichst real erscheint. Problematisch wird es, auch hinsichtlich der Menschenwürde, wenn beispielsweise Demenzkranke nicht mehr zwischen Realität und virtueller Welt unterscheiden können und dadurch den Bezug zur Realität verlieren. Die VR-Anwendungen müssen daher den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen. Wird innerhalb der VR-Therapie mit virtuellen Menschen (Avatare) gearbeitet, beispielsweise bei der Behandlung von Ängsten im sozialen Bereich, besteht die Gefahr, dass Patienten eine emotionale Bindung zu den virtuellen Menschen aufbauen und sich immer mehr in den virtuellen Raum zurückziehen. Virtual Reality kann daher die konventionelle Therapie nur ergänzen, aber nie ersetzen.
Quellen:
Bei medizinischen Eingriffen: VR-Brille hilft Kindern gegen Schmerz und Angst: Dr. Elke Oberhofer, online unter: www.springermedizin.de, (aufgerufen am 11.09.2019)
Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen: www.awmf.org/leitlinien .html
EVElyn – Psychotherapie mit virtual Reality: UniTyLab, online unter: www.unitylab.de, (aufgerufen am 11.09.2019)
Expositionstherapie: Smartphone-App gegen Höhenangst: Thomas Müller, Springer Medizin Verlag, online unter: www.springermedizin.de, (aufgerufen am 11.09.2019)
How Virtual Reality Is Being Used to Treat Eating Disorders: Waverly Colville, The Wall Street Journal, online unter: www.wsj.com, (aufgerufen am 11.09.2019)
Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 20.02.2018: Ethische Fragen bei virtueller Realität in der Medizin Virtual Reality: Therapie und neue Lebensqualität für kranke und alte Menschen
Pressemitteilung des Universitätsklinikums Freiburg vom 08.08.2019: Ethische Fragen bei virtueller Realität in der Medizin
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