Leben mit einem Cochlea Implantat (CI): ein Interview

Damian ist auf seinem rechten Ohr taub, auf dem linken hört er 50 Prozent. Links trägt er ein Hörgerät, rechts ein Cochlea Implantat (CI), das ihm mit 13 Jahren implantiert wurde – so hört er auch rechts. Wir haben mit ihm gesprochen: über sein Leben mit einer elektronischen Hörprothese und den Herausforderungen im Alltag mit einer Hörbehinderung.

Damian, was bedeutet Dir Dein Cochlea Implantat?

Ohne wäre das Leben nicht ganz so schön. Ich würde ein Stück Lebensqualität verlieren. Mit einem Ohr zu hören ist in Ordnung, aber mit zwei ist dann doch ein bisschen schöner.

Warum hast Du Dir ein Cochlea Implantat implantieren lassen?

Das Leben eines Schwerhörigen ist sehr anstrengend. Man muss immer zuhören, Lippenlesen, die Akustik muss stimmen, Licht muss vorhanden sein. Ich hatte deshalb starke Kopfschmerzen. Meine Eltern und ich hofften, dass sie durch das CI weniger werden oder ganz verschwinden. Außerdem ist man in Gruppen leichter ausgegrenzt, weil man dem Gespräch nicht folgen kann, wenn alle durcheinander reden. Es bestand einfach die Sorge, dass ich später im Beruf zu wenig mitbekomme. 

Wir wussten, im Berufsleben werde ich mit Normalhörenden arbeiten und das CI sollte mir die nötige Unterstützung geben, dass ich besser in der hörenden Welt zurechtkomme. Und ich wollte wissen, wie das Hören mit einem CI ist.

Damian in seinem Münchner Büro. Sein rechtes Ohr ist taub, dort trägt er ein Cochlea Implantat.

Wie verlief die Operation?

Die Operation war eigentlich ganz witzig. Vorher waren natürlich alle nervös, weil es ein Eingriff am Kopf ist, mit Muskel- und Gesichtsnerven in der Nähe. Ich habe dann Beruhigungstabletten bekommen, aber die haben nicht geholfen. Dann ging es zum Operationssaal durch eine Schleuse und meine Mutter rief durch die Schleuse hindurch: „Wenn ihr beim Bub schon beim Gehirn seid, dann schraubt noch ein paar Schrauben fest.“ Da mussten alle lachen. Im Operationssaal habe ich angefangen die Helfer zu zählen: Es waren zwölf Leute – dann bin ich eingeschlafen. 

Als ich aufgewacht bin, war mir sehr übel und schwindlig. Die Operation ist direkt an den Bogengängen der Hörschnecke, dem Gleichgewichtsorgan, und das wird irritiert, wenn das CI implantiert wird. Bei mir hat es fünf Tage gedauert, bis ich mich nicht mehr betrunken gefühlt habe. Nach der Operation trägt man sechs Wochen lang einen Verband. Dann gibt es die Erstanpassung beim Ingenieur, wo zum ersten Mal Signale kommen.

Der Ingenieur schaltet das CI an: Was ist dann passiert?

Wenn du 13 Jahre lang nichts und auf einmal das erste Signal hörst, ist das so: „Oh, da ist etwas, was ist das?“. Du merkst, dass es zwölf unterschiedliche Signale gibt, weil mein CI ja zwölf Elektroden hat. Für mich klingt es wie ein Morsealphabet: „Zz zt zzt zzzt zt“. Je nachdem wie stark das Signal ist, geht die Lautstärke auch ins Gehirn. Anfangs war das für mich ein riesen Kuddelmuddel, es hat einfach nur gesummt wie ein Computer. Aber mit der Zeit lernt man zu differenzieren. Das ist wie Latein lernen: anstrengend, ungewohnt, aber man macht Fortschritte. Man erkennt, das sind hohe Töne, das sind tiefe Töne. Und dann fängt man an, neben dem Hören auch zu verstehen.

Wie hast Du gelernt, mithilfe der CI-Signale Sprache zu verstehen?

Am Anfang ist es so: Man hört Geräusche, aber findet keinen Inhalt. Das Gehirn muss mit dem Sprachzentrum zusammen aufwendig lernen. Wie wenn ein Kind sprechen lernt, muss das Gehirn lernen zu hören und zu verstehen: Dieser Ton, Tonreihenfolge, Kombination bedeutet Apfel oder Baum. Als würde ich jeden Buchstaben neu lesen lernen, das mache ich mit Tönen und das muss man trainieren. Der Vorgang des Erlernens würde zwar auch automatisch funktionieren, dann dauert es aber länger. 

Man geht mit einem Cochlea Implantat auch zur Reha oder zu speziellen CI-Logopäden. Ich war zweimal zur Reha in Frankfurt. Da habe ich eine Woche lang intensiv mit Ingenieuren und Logopäden zusammen das Gehör trainiert. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Signale und irgendwann kommt das Verstehen. Und dann hat man ein schönes Gehör. Bei mir ist es mittlerweile so, dass ich auf dem CI-Ohr die hohen Töne sehr gut verstehe und mit dem Hörgerät die tiefen Töne. Mit CI und Hörgerät höre ich stereo. So langsam entwickle ich wieder ein Richtungshören, aber sehr grob – also ich kann sagen, das Geräusch kommt von vorne oder hinten.

Hast Du Dir das Hören mit CI so vorgestellt?

Nein (lacht). Ich bin ein Sonderfall, weil ich durch das Hörgerät weiß, wie akustisches Hören ist. Mir wurde nie versprochen, dass ich normal hören würde. Es ist wirklich ein anderes Hören – eine Prothese. Wer eine Beinprothese hat, kann auch nicht perfekt laufen. Im Durchschnitt kann mit einem CI 75 Prozent Verständnis erreicht werden, aber nicht mehr. Also bin ich immer noch zu 25 Prozent schwerhörig. Das menschliche Gehör hat ja viel mehr Frequenzen und leistet viel mehr, als ein CI mit zwölf Elektroden leisten kann. Daher ist das eingetroffen, was mir versprochen wurde.

Worin siehst Du die Vorteile aber auch Nachteile eines Cochlea Implantats?

Die Vorteile sind: Ohne CI höre ich nichts, mit etwas – aber nicht perfekt. Ich habe weniger Stress, ich kann Musik hören, ich kann im Kino und Theater mehr verstehen und in größeren Gruppen unterwegs sein, als vorher. Ein Nachteil ist, dass ich das Implantat einmal im Jahr warten lassen muss. Außerdem muss man ein bis zwei Jahre trainieren, bis man damit richtig versteht. 

Und ein CI kann dich verändern. Es gibt Menschen, die vorher sehr schüchtern waren und als sie ein CI bekommen haben, wurden sie plötzlich extrovertiert – da kenne ich ein paar. Es gibt welche, die sind schon extrovertiert, aber kommen dann mit der Informationsflut nicht zurecht und wollen es wieder ruhiger haben. Und es gibt Leute, die ändern sich weniger. Aber mit mehr Informationen wächst auch deine Persönlichkeit. Ich finde, die Vorteile und Nachteile kann man nicht fest definieren, weil jeder mit seinem CI anders umgeht.

Haben sich die Hoffnungen, die Du in das CI gesetzt hast, erfüllt?

Ich bin zufrieden, so wie es jetzt ist. Was heißt Hoffnungen? Also meine Hoffnung war, dass ich weniger Kopfschmerzen habe – das ist eingetreten. Ab dem Moment, als ich angefangen habe vom Hören ins Verstehen zu kommen, sind die Kopfschmerzen tatsächlich weniger geworden und ab da war es eine Erleichterung.

Welche Erwartungen haben sich nicht erfüllt?

Musik. Überall da, wo verschiedene Instrumente sehr fein spielen, zum Beispiel in einem Orchester oder bei Jazzmusik, ist die Unterscheidung zum Beispiel zwischen Saxofon oder Trompete sehr sehr schwer. Also die Musik ist mit CI nicht das, was es mit einem Hörgerät ist. Aber wenn ich ins Theater gehe, höre ich gut, Kino ist super – nur ein reines Konzert ist schwierig.

Wo triffst Du privat Schwierigkeiten?

Am Flughafen gibt es diese Sicherheitskontrolle mit Magnet, da muss man durchgehen. Das Problem ist, durch das Magnetfeld kann das CI behindert werden oder es schaltet sich aus. Deswegen muss ich bei dieser Magnetschleuse mit der Security außen herum laufen, die muss mich abtasten und hat manchmal keine Lust dazu. Grundsätzlich liegen viele Probleme, die mit dem CI zu tun haben, in der Umwelt, nicht im Implantat selbst. Probleme mit dem CI selbst sind, dass das Kabel oder der Prozessor kaputt gehen kann oder, dass die Batterien leer sind. Die muss ich alle fünf, sechs Tage wechseln.

Und im Beruf?

Beruflich gesehen, sind Telefonate schwierig. Da können wichtige Informationen verloren gehen, weil ich zum Beispiel das Lippenbild nicht habe. Dann hilft es auch nicht, wenn ich das Handy lauter stelle. Allgemein sind auch Meetings schwierig. Wenn durcheinander gesprochen wird, kann ich nicht folgen. Außerdem ist ein Nachteil, dass ich bestimmte Jobs nicht machen kann. Zum Beispiel kann ich kein Pilot werden, weil ich die Funksprüche nicht hören würde. Aber Mediziner kann ich werden. Es gibt Ärzte, Chirurgen, die mit einem CI ausgestattet sind. Als ich damals Sanitäter werden wollte, hat man mir gesagt „Nein Damian, das geht nicht, du hörst doch nichts.“, aber ich habe gesagt: „Doch, es geht.“ Und tatsächlich habe ich meine Sanitäterprüfung bestanden und einen Partner zugewiesen bekommen. Mein Partner hat mit den Patienten gesprochen und ich habe ihm die Sachen gegeben. Ich kenne mittlerweile ein paar gehörlose Sanitäter, Rettungsassistenten, die durch Deutschland fahren und Leute retten, obwohl sie nichts hören. Das ist bemerkenswert.

Wenn Dich jemand fragt: Soll ich mir ein CI implantieren lassen, was antwortest Du?

Ich sage den Leuten, die schwer verstehen oder gehörlos sind, dass sie sich überlegen sollen, wo sie in ihrem Leben hin möchten. Wer mit Menschen reden, an Meetings teilnehmen, um die Welt reisen, auf Messen gehen möchte oder sehr künstlerisch ist und beispielsweise am Theater arbeiten will, für den kann ein CI hilfreich sein. Wer einen Job hat, in dem Hören nicht so wichtig ist und die Person mit dem Restgehör gut zurechtkommt, dann ist es vielleicht nicht notwendig. Bei mir war es so: Ich bin extrovertiert und wusste, ich werde später mit vielen Menschen reden. Dafür brauche ich Hilfe. Eine Hilfe war das CI und das hat sich ausgezahlt. Und es gibt andere, die wirklich sagen: „Nein, das brauche ich nicht“.

Triffst Du auf Schwierigkeiten im sozialen Leben?

Ja, die Leute haben Angst und wissen nicht, wie sie mit einem Schwerhörigen umgehen sollen. Das geht weiter zu Genervtheit und Ignoranz: „Mir ist scheißegal, ob der nichts hört. Ich will, dass er das und das macht.“ Grundsätzlich ist es einfach so, dass ich als Schwerhöriger bei allem, was mit Kommunikation zu tun hat, benachteiligt bin. Ich verstehe einfach weniger, bestimmte Wörter, teilweise ganze Sätze, weil zu viele Störgeräusche vorhanden sind oder ich das Lippenbild nicht sehe. Das heißt, ich muss nachfragen, sonst komme ich bei Gesprächen nicht mit oder kriege nicht mit, was zum Beispiel in einem Meeting wichtig ist. Die Leute sagen dann: „Jetzt muss ich es schon wieder wiederholen!“ Oder: „Jetzt hat er es wieder nicht mitgekriegt.“ Das kann Auswirkungen auf das Arbeitsleben haben. Das sind die allgemeinen Nachteile als Schwerhöriger.

Wie gehst Du mit diesem Defizit um?

Ich habe verschiedene Mittel, wie ich verstehen kann. CI, Hörgerät, Licht, Lippenbild, Lesen und Mimik und Gestik. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass jemand wütend ist, dann ist der Wortschatz entsprechend. Außerdem habe ich von klein auf trainiert, meine Mitmenschen zu beobachten. Ich schaue, wie muss ich mit der Person umgehen, damit sie mit meiner Behinderung zurechtkommt. Zum Beispiel Cornelius, mein bester Kumpel. Der läuft mittlerweile automatisch auf meinem „guten Ohr“, also dem schwerhörigen Ohr. 

In Gruppen, wenn ich etwas nicht mitbekommen habe, hole ich mir einen Dolmetscher heraus, frage ihn worum es gerade geht – und bin wieder dabei. Oder wenn Freunde sagen: „Lasst uns in die Bar gehen.“ Dann antworte ich: „Da ist es aber sehr laut, sehr voll, lasst uns doch in diese andere ranzige Bar gehen, wo das Bier genauso aus der Flasche kommt, aber da ist es wenigstens ruhig.“

Wir hörbehinderten Menschen haben also viele Möglichkeiten uns Hilfe zu holen, aber die meisten holen sich die Hilfe nicht. Die wollen nicht im Mittelpunkt stehen. Mir ist es egal, ob ich im Mittelpunkt stehe. Ich sage: „Hey Leute, die Bar ist besser.“

Fühlst Du Dich aufgrund Deiner Behinderung falsch behandelt?

Das kommt vor, etwa wenn Leute vergessen, dass ich schwerhörig bin. Bei einem Praktikum zum Beispiel, bin ich im Flur gelaufen und irgendjemand hat mich von hinten gerufen, aber ich habe nicht reagiert. Die Person dachte, ich wäre ignorant und arrogant. Dafür kann ich nichts, aber es brennt sich dann ein: Der Damian ist ignorant und arrogant. Und das nur, weil ich einmal nicht reagiert habe. Das heißt, der erste Eindruck ist auch gefährlich. Wenn du schwerhörig bist, hörst du nur so gut, wie deine Mitmenschen mit dir umgehen. Das CI und das Hörgerät geben mir die Basis zu sagen, ich höre und verstehe etwas, aber das alles bringt nichts, wenn es laut ist oder mir die Leute nicht in die Augen schauen.

Wie kann es sein, dass Leute nicht mitbekommen, dass Du schlecht hörst?

Die Schwerhörigkeit ist eine versteckte Behinderung. Bei einem Blinden oder einem Rollstuhlfahrer siehst du sie sofort. Dann gibt es versteckte Krankheiten und Behinderungen, die du nicht siehst, wie die Schwerhörigkeit. Erst im Gespräch merkt man es.

Was würdest Du Dir für Menschen, die schwerhörig sind oder ein CI tragen, wünschen?

Man sollte mit der Schwerhörigkeit locker, offen umgehen und nicht ständig sagen: „Ich will das nicht, ich will nicht so viel Aufmerksamkeit“. Was ich mir noch wünsche ist, dass wir, obwohl wir ein Defizit haben, stolz auf uns sein dürfen. Ich möchte ihnen sagen: Sei stolz darauf was du hast, du bist ein Cyborg. Du bist ein halber Terminator. Das sage ich auch immer den Kindern, wenn sie sagen: „Ich bin behindert, ich bin ein Krüppel.“ Dann sage ich: „Nein, du bist ein Cyborg, du bist cool.“ Dann gehen sie am nächsten Tag in die Schule und sagen: „Ich bin ein Cyborg!“ (macht Blitz-Schießgeräusche). Ich sage immer, steh zu dem was du hast. Du bist behindert, das kannst du nicht ändern. Geh offen damit um, kommuniziere offen mit den Leuten, dann können sie darauf reagieren und helfen.

Auf was sollten wir, Normalhörende, achten?

Zu den Normalhörenden sage ich: „Die Schwerhörigkeit ist nichts Schlimmes, du kannst trotzdem mit der Person normal reden, aber achte einfach auf ein, zwei Punkte wie Licht, in die Augen schauen, ein bisschen deutlicher reden und auf die Akustik.“ Der Normalhörende profitiert ungemein von den Hilfen, die ein Schwerhöriger braucht. Ich brauche Ruhe, wenn wir reden und für den Hörenden ist es auch entspannter. Ihm tut die Ruhe auch gut. Wenn eine Sechsergruppe durcheinander diskutiert, dann muss sich der Hörende auch anstrengen, bloß der Schwerhörige viel viel mehr. Das heißt: Wenn in einer Gruppe Disziplin herrscht, profitiert der Hörende auch davon.

Konkret, wie kann die Gesellschaft von Schwerhörigen profitieren?

Wenn die Inklusion von Schwerhörigen in der normal hörenden Welt klappt, bedeutet das, dass die Gesellschaft toleranter wird und mit den Mitmenschen respektvoller und offener umgeht. Wenn die Schwerhörigen in der Gesellschaft akzeptiert sind, wahrgenommen werden und ihnen auch geholfen wird – dann profitiert jeder davon. Einfach durch die offenere Kommunikation und strukturierteren Diskussionen.

Gibt es noch etwas, das Du sagen möchtest, aber nie gefragt wirst zu dem Thema?

Was mich am meisten stört oder was viele Leute einfach nicht bemerken: Jemand der nicht gehen kann und einen Rollstuhl hat, der kann immer noch nicht gehen. Der hat eine Hilfe. Jemand der blind ist und einen Blindenstock hat, der kann immer noch nicht sehen. Ein Schwerhöriger oder Gehörloser, der ein CI oder ein Hörgerät trägt, der hört vielleicht mehr. Aber es heißt nicht, dass er auch automatisch alles versteht. Er ist und bleibt schwerhörig. Wir haben noch keine hundertprozentige Lösung für die Behinderung Schwerhörigkeit. So gut ich versorgt bin mit CI und Hörgerät – ich habe immer noch ein Defizit. In guter Umgebung verstehe ich bis zu 80 Prozent. 20 Prozent fehlen mir – bis es vielleicht irgendwann einmal später eine neue Erfindung gibt.

Was würdest Du Dir von Deinen Mitmenschen wünschen?

Einfach nur Verständnis. Wenn die Person Verständnis für das hat, was dir fehlt, achtet sie von allein darauf. Wenn ich den Leuten sagen muss, was sie machen sollen, dann werden sie es nicht machen. Ich möchte einfach nur, dass die Leute verstehen, was ich für einen Nachteil habe. 

vitanet.de: Damian, wir danken Dir für das Gespräch.

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